Die „Unruh“ des Mozarteums

09.10.2023
Spot On MozART
Spot On MozART Publikation | © Michael Klimt

Spot On MozART widmet sich seit Oktober 2019 der visuellen Erforschung des Hörens und damit einem neuen Verstehen der Musik von Wolfgang Amadé Mozart. Zum Projektende im Herbst 2023 zeigt die Universität Mozarteum in einer umfassenden Publikation eine Retrospektive aller umgesetzten Kunst- und Forschungsprojekte.

Spätestens seit der Finalisierung von Beethovens 10. Sinfonie durch Künstliche Intelligenz findet im Bereich der Interpretation und Rezeption klassischer Musik mit Mitteln moderner Technologie eine (Neu-)Verknüpfung von Paramenten statt, deren Kombination noch vor wenigen Jahren als unmöglich oder abwegig wahrgenommen wurde. Das heutige Medienangebot scheint mit seinen 15-Sekunden-Videos, schnelllebigen und -sterbenden Inhalten, immerwährender Verfügbarkeit und dem Trigger, stets neue Impulse zu setzen, im krassen Gegensatz zur Rezeption klassischer Musik zu stehen. Aber genau jene Verbindung von historischer Musik und neuen Medien nutzt das interdisziplinäre, interuniversitäre Projekt Spot On MozART, um das kreative Potenzial digitaler und sozialer Transformation auszuloten und damit einen explorativen Spielraum zu öffnen. Wie würde etwa ein Musikvideo nach heutigen Standards zur Musik von Mozart aussehen? Wie erleben Zuhörer*innen eine Arie mit 360°-Sound und -Bild? Welche pädagogischen Aspekte finden sich in den Kompositionen des Genius Loci? Und wie verändert sich die Wahrnehmung von Musik, wenn wir sie mit neuen Bildern versehen? Spot On MozART stellte eine Vielzahl an Fragen, die nicht nur zu nachhaltigen Impulsen für die Lehre und Forschung führten, sondern auch das gesamte Innovationspotenzial einer Kunstuniversität herausforderten.

Ob Zufallsgeneratoren, Realtime-Grafiken, mehrdimensionale oder synthetische Klangexperimente, Touch-Interfaces, 360°-Produktionen – Video sowie Sound –, immersiv-spielerische Komponenten und therapeutische Prozesse, Bewegungstracking oder Light Painting: Durch die intensive Zusammenarbeit mehrerer universitärer Einrichtungen mit externen Expert*innen regte Spot On MozART künstlerische und kommunikative Potenziale an, die sich im Kontext der Musik Mozarts kreativ mit Digitalisierung bzw. Digitalität auseinandersetzen. Für Studierende eröffnete sich die einzigartige Möglichkeit, sich im professionellen Feld von Kunst und Kultur individuell und in Teams zu bewegen, gleichzeitig zu experimentieren und zu forschen, als Teil ihres Studiums. Forschende, Lehrende, Akteur*innen aus Kultur und Medien waren ebenso eingeladen, mit ihren Ideen und Konzepten Denk- und Gestaltungsreisen zu unternehmen und sich entlang der Handlungsfelder Musik, Visualisierung, Innovation, Research und „Spot On“ mit der Verknüpfung von Sehen und Hören auseinanderzusetzen. Kooperationspartner*innen seit 2019 sind die Universität für Angewandte Kunst und die TU in Wien, die Research Studios Austria sowie die Universitäten und Hochschulen am Standort Salzburg.

Basierend auf je einem Werk Mozarts stand die Erkundung über die Grenzen der Disziplin hinaus sowie der Geist des Experimentierens im Zentrum, um so im besten Fall auch das Publikum des 21. Jahrhunderts in direkten Kontakt mit Mozarts Schaffen treten zu lassen. Spot On MozART forschte auch an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Pädagogik: Die Smartphone-App „Cultural Hotspots“ fungiert etwa als musikalischer Stadtführer für Jugendliche und vereint dabei das Kennenlernen historisch relevanter Orte in Salzburg, Musikhören und das zeitgenmäße Erleben originaler Werke außerhalb der Klassenzimmer. Auch „Face Your Mozart“, ein Tool des Mozartumorchesters, ist eine Anregung, sich aktiv mit der Musik Mozarts auseinanderzusetzen, Empfindungen und menschliche Interaktion aus der Musik herauszuhören und diese in pantomimische oder szenische Aktion umzusetzen. „How to find myself throught Mozart“ setzte sich zum Ziel, in Kooperation mit der Christian-Doppler-Klinik, der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität und der Künstler*innengruppe gold extra künstlerische Aktivitäten in therapeutische Prozesse mit psychisch erkrankten Jugendlichen zu integrieren und damit neue therapeutische Ansätze zu untersuchen. Die begleitende medizinisch-psychologische Forschung diente der evidenzbasierten Etablierung von Kunst in der Medizin. Alrun Pacher hält in „Die Farben von Salzburg“ Analogien zwischen Mozarts c-Moll Phantasia (KV 475) und „Farbakkorde“ in Form von Fotos fest. Mit dem Ziel, den Besucher*innen aktiven spielerischen und gleichzeitig auch gestalterischen Zugang zum Werk von Mozart zu ermöglichen, wurde der 1. Satz aus Mozarts Klarinettenquintett unter der Leitung von Martin Kusch als interaktive Fulldome-Environment realisiert: Das „Mozart-realtime Quintett“ bietet eine audiovisuelle Erfahrung, in der die Musik von Mozart als synästhetische, interaktive Visualisierung mittels computergenerierter Echtzeitgrafik realisiert wurde. „Mozart Contained!“ von Anna-Sophie Ofner ist ein interaktives Musikerlebnis in mehreren Container-Simulationen und holt Mozart aus den Konzert- und Opernhäusern. In einem Container erfährt man das Dissonanzen-Quartett (KV 465) haptisch, visuell und akustisch, im zweiten Teil des Projekts stellt das Rondo in a-Moll (KV 511) die musikalische Ausgangsbasis für die auf Wiederholung basierende Veränderung der Wahrnehmung dar.

Schwerpunkte liegen bei Spot On MozART auch auf der Zugänglichkeit und der Interaktivität, um Hindernisse für die Wahrnehmung klassischer Musik abzubauen. Marcel Kieslich ergründet mit der Installation „Spiel!“ aus einer theater-philosophischen Perspektive die szenische Robotik und lässt Mozart in Kontakt mit dem Mechanischen und dem Technologischen treten: Ein Industrieroboter interpretiert das Musikspiel KV 516f und lädt Teilnehmer*innen zum Mitmachen ein. Mittels Virtual Reality-Brille wird in „VR MozART“ Mozarts Arie „Geme la tortorella“ (KV 196) aus der Oper „La finta giardiniera“, gesungen von Regula Mühlemann mit musikalischer Begleitung von Studierenden unter der Leitung von Gernot Sahler, zu einem 360°-Erlebnis, das sich im Setting des Hangar-7 eröffnet. „Reactive Mozart“ ist eine interaktive Installation für 2 Spieler*innen, die in 2 Räumen mit 360°-Sound und -Visuals über Bewegungstracking mit der Musik sowie mit der anderen Person interagieren und Violine und Cello steuern können. „Mozart Spehres in Orbit“ lässt mit Spatial Audio für VR-Brillen in einem virtuellen schwarzen Raum einzelne, weiß leuchtende Sphären um ein unsichtbares Zentrum kreisen. Jede dieser Kugeln repräsentiert eine Note des Adagios von Mozarts Sonate für Klavier und Violine in F-Dur (KV 55) und reagiert in Echtzeit auf die Dynamik des Stücks. Und „Constructing Mozart“ widmet sich in einem immersiven Mixed-Reality-Umfeld Umbrüchen im Leben des Komponisten und Musikers entlang seiner familiären Konflikte. Eine Vielzahl an Projektpräsentationen, Ausstellungen und Filmvorführungen gaben dem interessierten Publikum regelmäßig umfassende Einblicke in diese und viele weitere Prozesse und Spot On MozART-Projekte, an denen seit dem Projektstart 2019 gearbeitet wurde.

Spot On MozART fungierte als Plattform für Konzepte, die auch über 220 Jahre nach seinem Tod neue Sichtweisen und spannende Konfrontationen mit der Musik von Mozart entfalten, erleben und weiterdenken lassen. Ein Zugang, der immer wieder zeitgemäß erneuert und umgestaltet werden kann und die Auseinandersetzung mit Mozart als „Unruh“ des Mozarteums definiert: durch die Zeit hindurch besteht ein stetiger innerer Antrieb, eine treibende Energie. Marcel Kieslich, der im Rahmen von Spot On MozART promovierte, unterstreicht dies treffend in seinem Beitrag in der Projektretrospektive: „Für mich war Spot On MozART erneut ein Beweis dafür, dass sich Theorie und Praxis gegenseitig befruchten, insofern beiden Dimensionen im Wissenschaftsbetrieb eine gleichberechtigte Stellung zugesprochen wird.“

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 7. Oktober 2023)

Spot On MozarART